Ich träumte schlecht in der ersten Nacht allein im Krankenhaus. Ich träumte, ich stünde ganz allein in der Wüste und hörte ein lautes Grollen. Mich überkam die Angst und dann sah ich die große Herde von wilden Huftieren. Zebras, Gazellen, Wasserbüffel, etc. mit hohem Galopp auf mich zurasen. Ich war in Schockstarre und wusste, ich konnte nirgendwo mehr hin und musste hoffen und vertrauen, dass mich kein Tier trifft. Sie rauschten an mir vorbei und ich stand da voller Angst und Verzweiflung und schrie...das weckte mich auf. Ich schaute mich im dunklen Raum des Krankenzimmers um und merkte, ich war allein - ganz allein mit mir selbst und obwohl ich so jung war, gerade mal 7 Jahre, wusste ich, dass dies nun ein Weg sein wird, den ich zu gehen habe und dass es nichts und niemanden gibt, der mir das abnehmen kann. Also beschloss ich die Tapfere zu sein, für die mich ja alle schon hielten. Egal, wen ich traf mit meiner Mutter oder allein, am Ende kam immer: "Sandra ist ja so tapfer." Einerseits war es ein hilfreiches Schild, andererseits war es auch ein Maske - denn die Träume und die Nächte waren die Momente, in denen ich ganz allein mit mir und meiner Angst war. Ich erinnere mich an eine zweite sehr wichtige Nacht, in der ich nicht schlafen konnte. Es war die Nacht vor der ersten bewussten (eigentlich zweiten) Operation und ich lauschte dem Geräusch der Kohlensäure in der Cola-Büchse. Dieses Geräusch wurde mein Anker. Warum auch immer, ich fühlte, wenn ich all meine Aufmerksamkeit und Gedanken auf dieses Geräusch lenken würde, wäre die Angst vor der OP nicht mehr so groß. Es half mir zwar nicht beim Einschlafen, aber ich glaube, es war meine erste bewusste Übung, meine Gedanken der Angst und Panik in etwas anderes zu bündeln, damit mein Verstand nicht vollends austickt. So verbrachte ich die ganze Nacht und machte nicht einmal ein Auge zu. Glaubte ich zumindest, denn als das Licht anging und der OP-Trupp anrückte - so fühlte es sich für mich auch an - wurde ich geweckt. Die Vorbereitungen gingen ziemlich schnell. Ich wurde am Bein und an der Hüfte rasiert und schon mal eingepinselt. OP Hemdchen angezogen und noch mal eine dicke Beruhigungsspritze mitten in den rechten Oberschenkel hinein. So erschrocken ich von der Maßnahme war, umso dankbarer war ich danach, als in mir so ein tiefes Ruhegefühl eintrat und die Angst ganz weit nach hinten geschoben wurde. Der Operationsbereich war in einem anderen Gebäude und so wurde ich bei schönem Wetter auf einer rollenden Trage in den anderen Bereich geschoben. Die Droge half mir ganz ruhig zu werden, mich nicht mehr aufzuregen und ich schlief sogar im Vorruheraum des OP-Saals kurz ein. Dann hörte ich einige Menschen um mich herum, sah meinen Arzt, der mich operieren würde und fragte mich, ob ich mich soweit ok fühle. Ich lächelte nur und er lächelte zurück. Der Anästhesist kam dann mit der Narkosemaske und ich sollte tief ein und ausatmen ... es dauerte einen Moment, bis ich wirklich einschlief, weil mein Wille noch so stark war und ich es noch nicht zulassen konnte und somit sogar noch einmal aufwachte, nur um dann eben tief und fest zu schlafen. Das Nächste woran ich mich erinnern konnte und vor meinen geschlossenen Augen sah, war das graue Bild eines rauschenden Röhrenfernsehers. Auch das Geräusch war zu hören. Kein Empfang und auch kein Senden möglich gewesen. Ich wachte in meinem Zimmer auf und fühlte mich traurig und allein. Die Ärztin fragte, ob ich was brauche und ich rief nach meiner Mutter. Sie wurde gerufen und ich war erleichtert und es half mir sehr. Blöderweise war der Rat des Oberarztes, das nächste Mal nicht mehr zu kommen, damit ich nicht so aufgewühlt wäre und auch meine Mutter nicht so stark in ihre Gefühle kommt. Aus heutiger Sicht natürlich totaler Bullshit - es hätte mir sehr viel gebracht. Natürlich war es schwer für meine Mutter, mich nach einer Operation so zu sehen. Und auch ich habe natürlich nicht viel mitbekommen, außer, dass sie da war und das hat mich enorm beruhigt und darum konnte ich auch schlafen. Diese Empfehlung des Arzt war einfach Schrott! Andererseits hat es mich natürlich auch in gewisser Art und Weise auf mich selbst zurückgeworfen und darum kann ich im Nachhinein nicht mehr beurteilen, ob es richtig oder falsch war. Heute kann ich mit einem Abstand und einer gewissen Unterscheidungskraft sagen, dass für mich erst mal alle Wege 'neutral' sind. Ich frage mich gern, wozu dient es, dann sehe ich auch in den vermeintlich schlechten Wegen eine gewisse Notwendigkeit. Nicht alle Wege scheinen für die Menschen gleichwertig, doch führen sie doch alle nach Rom, so heißt es doch so schön. Manche Wege sind Irrwege, das kann sowohl ein guter oder schlechter Weg sein. Kommt immer auf die Perspektive an, aus der betrachtet wird und diese Perspektiven verändern sich ständig. Mir hilft es, mich ganz und gar in mich selbst zu versinken, mich zu erinnern und aus dieser Perspektive des ALL-ICHs zu schauen. Dann ist da weder gut, noch böse, weder richtig noch falsch. Nur Wege, die gegangen oder eben nicht gegangen werden. Die folgenden Jahre kam ich immer wieder zurück in das Krankenhaus. Es wurden noch einige andere OPs nötig, um die Stabilität in der Hüfte wieder herzustellen. Während der Zwischenzeit musste ich mit einer Schiene laufen und mich an ein neues Leben gewöhnen. Ich war ja die tapfere Sandra und konnte das mittlerweile sehr gut nach Außen geben.
コメント